Pressebericht in der Aargauer Zeitung 8.8.1999

Aargauer Zeitung Reisen
 

Per Velo den Böhmerwald entdecken.

Der Böhmerwald hat unzählige Dichter fasziniert, darunter Rilke und Stifter. Weniger bekannt der Prager Literat Karel Capek (1880 bis 1938), der für die Gegend besonders treffende Worte fand: «Diese Berge sind voller Wasser, man wird nicht klug daraus, woher das alles fliesst. Hinter der Welle eines Hügels die nächste Welle, nichts als Wald, nichts als langer und tiefer Wald; hier ist alles in unendlicher Länge gebaut, die Berge und die Dörfer und die Wälder und auch die Zeit, die enge, rauschende Zeit.» Das Erstaunlichste an diesem Wald im Grenzdreieck von Österreich, Deutschland und Tschechien ist tatsächlich seine Grösse, fast Unendlichkeit für Schweizer Begriffe. Wenn man auf den Aussichtsturm auf einem der Hügel steigt, die alle je einen tschechischen und einen leutschen Namen besitzen, dann sieht man Wald, so weit das Auge reicht. Die Dörfer sind rar: nur 1,5 Menschen pro Quadratkilometer leben im Kerngebiet des Böhmerwaldes auf tschechischer Seite. Dieser Wald heisst hier Šumava, übersetzt «die Rauschende». Es rauscht hier alles mögliche: die Tannen und Fichten, die Bäche und Flüsse, oft auch der Regen, vielleicht gar die Zeit.

Nach den weiten Wäldern kann man süchtig werden wie früher die Dichter und heute die Touristen, Velofahrerinnen und Langläufer vor allem. So viele kommen aber nicht, Ruhe lässt sich hier noch finden. Der Zauber, die nachhaltige Wirkung der Wälder ist schwer zu erklären, denn Bilderbuchlandschaften gibt es hier abgesehen von den wenigen zugänglichen Moorgebieten und Moorseen keine. Die Fichtenwälder sind nicht einmal besonders urwüchsig, weil auch die Kernzonen des heute grössten Nationalparks Tschechiens und Biosphärenreservats erst wenige Jahre oder Jahrzehnte ganz der Dynamik der Natur überlassen sind.

Der Urwald ist anders
Der Urwald sieht jedenfalls anders aus. Das zeigt ein Ausflug zum Berg Kubani, der auf der tschechischen Karte Boubín heisst und von Lenora oder Vimperk aus zu erreichen ist. Der Fürst Jan Adolf von Schwarzenberg hat die Wälder am Kubani schon 1858 unter absoluten Schutz gestellt, und auch in den Jahrhunderten davor durften hier keine Förster ans Werk, weil die Herrschaften ungestört Hirsche und Auerhähne jagen wollten. Auf mehr als 4001 Jahre hat es der legendäre «Fichtenkönig» gebracht, ein 60 Meter hoher Urwaldriese, der 1970 einem Sturm zum Opfer fiel. Ganz schief sei er am Schluss dagestanden, gebeugt vom böhmischen Westwind, steht auf der Gedenktafel. Die übrig gebliebenen Buchen- und Fichtengreise sind noch eindrücklich genug, und Karel Capek muss auch beeindruckt gewesen sein, sonst hätte er nach seinem Besuch nicht so schön spotten können: «Fast erwartet man eine Tafel mit der Aufschrift <Bäume ausreissen verboten> oder <Tritt nicht auf die gefallenen Riesen, sie fühlen wie du>. Es liegen. Baumstämme in allen Stadien der Zersetzung herum, so dass du weder vorwärts noch rückwärts kannst. Man lässt das so als Beispiel, welch fürchterliche Unordnung die Natur anrichtet, wenn sie sich selbst überlassen wird.»

Der Natur auf der Spur …
Die Zitate stammen aus einem Buch, das Erwin Aschenbrenner aus dem deutschen Regensburg zusammengestellt hat für die Literaturreisen, die er im Böhmerwald durchführt, neben Radwanderungen, Kanutouren, Familien-, Wander- und Langlaufwochen. Der Reiz seiner Reisen liegt darin, dass der charismatische Böhmerwaldkenner im dünn besiedelten Grenzgebiet lauter Geistesverwandte aufgespürt und angeheuert hat. Zum Beispiel den bayrischen Biologen Markus Schmidberger. Bei der letzten Tour fuhr er bei strömendem Regen los. Aber alle paar hundert Meter stieg er wieder vom Rad: «Da ist so unheimlich viel los!» Er zeigt das dreikantige Riedgras, das die Waidler früher zu Zöpfen flochten und als Matratzenfüllung benutzten. Auch der Ameisenhaufen am Wegrand verdient einen Halt. Hier demonstriert Schmidberger, wie die Ameisensäure rosa Tupfen auf die Glockenblume zaubert. Dann erzählt er von den Vögeln, die im Ameisenhaufen manchmal ein Bad nehmen, um ihre Parasiten loszuwerden. Und die überall wuchernde Heidelbeere: Diese Pflanze kann bis zu tausend Jahre alt werden. Er macht auf den Regenruf des Buchfinks aufmerksam und fährt durch den Nebel voraus zum Dreiseenmoor. Wie golden das dunkle Wasser der Moorseen schimmert, wenn Sonnenstrahlen darauf treffen, und wie azurblau und feuerrot dann die feinen Körper der Libellen leuchten, zeigt erst der nächste Tag.

… und der traurigen Vergangenheit
Jaroslav Neuûil aus dem tschechischen Städtchen Prachatice begleitet die nächste Tour. Radfahren ist deshalb so schön im Nationalpark, weil man mit dem Velo in seinen ausgedehnten Wäldern weiter kommt als zu Fuss, weil die Routen gut markiert und die Steigungen moderat sind. Viele der schmalen, geteerten Strassen sind autofrei. Ihr guter Zustand ist der Forstwirtschaft zu verdanken – und der traurigen Vergangenheit. Hier hat der Militärverkehr dominiert, hier ging noch vor zehn Jahren der Eiserne Vorhang quer durch den Wald, hier haben zuerst die Deutschen die Tschechen vertrieben und nach dem Zweiten Weltkrieg die Tschechen die Deutschen. In den fünfziger Jahren wurden ihre verlassenen Häuser in die Luft gesprengt, damit sich keine Ostflüchtlinge darin verstecken konnten. Wenn jetzt Jaroslav Neuüil dort hält, wo früher das Dorf Fürstenhut stand, wenn er den Friedhof zeigt, den die ehemaligen Bewohner wieder hergerichtet haben, dann berührt das als eine leise, behutsame Art der Vergangenheitsbewältigung, die hoffen lässt.

Ein Stück Weltkulturerbe
Wer den Böhmerwald bereist, der sollte das nahe Krumau (Ceský Krumlov) nicht verpassen, das allerdings seit der Aufnahme ins Weltkulturerbe der Unesco kein Geheimtipp mehr ist. Nach den einfachen Mahlzeiten in den Pensionen des Nationalparks gibts hier böhmische Küche vom Feinsten, und für die Fassadenmalereien und Sgraffitos ist so richtig empfänglich, wer ein paar Tage durch die stillen Wälder geradelt ist. In der Altstadt ist kein Haus jünger als dreihundert Jahre, und die Fundamente stammen oft aus dem vierzehnten Jahrhundert. «Wer hier ein Haus besitzt, hofft inständig, dass keine Malereien unter dem Putz stecken», erzählt Dalibor Hiric. Dann würden die Renovierungskosten nämlich ins Unermessliche steigen. Bei den Gästen ist es umgekehrt: Sie freuen sich über jede Rose, die unter einem abblätternden Anstrich zum Vorschein kommt, über jede Überraschung, die hinter der nächsten Gassenecke wartet.

Eine wahre Wundertüte ist zum Beispiel das Schloss. Den Maskensaal voller Ritter und Matronen, Harlekins, Zauberer und Musikanten hat schon Rilke beschrieben. Weltberühmt ist auch das Barocktheater, in dem über die Kulissen und Kostüme bis zu den Skripts und den damals aufgeführten Opernlibretti alles erhalten geblieben ist. Als Prinz Charles das Theater 1994 besichtigte, sei er so beeindruckt gewesen, dass er Vaclav Havel gebeten habe, eine der ganz seltenen Aufführungen miterleben zu dürfen. Havel habe ihn daraufhin auf die Warteliste gesetzt, und Charles warte immer noch … Diese Geschichte ist nun doch zu schön, als dass sie Dalibor Hiric oder sonst ein tschechischer Reiseführer auslassen könnte.

Die Texte stammen von den oben aufgeführten Zeitungen.
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