Pressebericht in der Frankfurter Neuen Presse 7.2.2004

Frankfurter Neue Presse Reisen
 

Der größte Charme des Böhmerwaldes ist seine Einsamkeit

Bayerisch Eisenstein. Am Bahnhof Bayerisch Eisenstein scheint die Welt zu Ende zu sein. Das riesige Gebäude ist viel zu groß für die kleinen Triebwagen, die die Touristen aus dem Donautal hinauf bis zur tschechischen Grenze befördern. Bis vor 14 Jahren war hier die Welt für Westeuropäer tatsächlich zu Ende. Den Bayerischen Wald und den Böhmer Wald, die doch ein zusammenhängendes Gebirge sind, trennte der fast unüberwindbare “Eiserne Vorhang”. Heute lässt sich die Grenze ohne großen Aufwand direkt auf dem Bahnsteig passieren. Auf der anderen Seite liegt ein Land, das manche Deutsche das „Kanada vor unserer Haustür” nennen. Tatsächlich ist der Böhmer Wald, der Anfang der 90er Jahre als Nationalpark ausgewiesen wurde, das größte zusammenhängende Waldgebiet Europas.

Auf der böhmischen Seite des Bahnhofs nehmen uns Jiri und Dalibor in Empfang. Die beiden Lehrer haben ihren Beruf in den 90er Jahren an den Nagel gehängt, um als Übersetzer und Reiseführer zu arbeiten. Im Sommer begleiten sie Radfahrer, Wanderer und Kulturreisende, im Winter Ski-Langläufer. Als Skigebiet ist der Böhmer Wald in Deutschland bisher weitgehend unbekannt. Sicher, die wenigen Schlepplifte in den winzigen Wintersportzentren wie Churanov oder Kvilda werden Alpin-Skiläufer kaum zufrieden stellen. Dafür sind die Loipen umso schöner. Im Gegensatz zu den Alpen und den deutschen Mittelgebirgen, wo sich der Ski-Langlauf in den vergangenen Jahren zu einer Mode-Sportart entwickelt hat, sind die Spuren für die schmalen Bretter im Böhmer Wald noch nicht überlaufen. Für Tagestouristen ist der Weg in die schneesicheren Gebiete häufig zu weit, und die Zahl der Unterkünfte ist im Nationalpark begrenzt.

Eine davon ist die Pension Hajenka im Dorf Filipova Hut, das die früher dort lebenden Deutschen Philippshütten nannten. Martin, der Wirt, hat das ehemalige Forsthaus zur höchstgelegenen Pension des Böhmer Waldes umgebaut. Auf mehr als 1100 Meter über dem Meer liegt selbst dann noch genügend Schnee, wenn man anderswo mit seinen Skiern bereits auf dem Gras herumrutscht. Filipova Hut, etwa 40 Kilometer von Bayerisch Eisenstein entfernt, ist nicht nur das höchstgelegene, sondern auch eines der einsamsten Dörfer des Böhmer Waldes. Gerade einmal elf Einwohner haben dort ihren Wohnsitz. Wer aufregendes AprésSki sucht mit Schneebar und Disco, ist hier fehl am Platz. Stattdessen findet man naturnahe Erholung abseits jeder Hektik. Auf den größtenteils maschinell gespurten Loipen, die direkt an den Unterkünften vorbeiführen, hören wir nur das Knirschen des Schnees und das Gleiten der eigenen Skier. Wer dem Wind lauscht, weiß, warum der Böhmer Wald auf tschechisch Šumava heißt – „die Rauschende”.

Die mäßigen Steigungen sind auch für Anfänger gut zu bewältigen. Die Mühen werden belohnt bei einer Einkehr in der gemütlichen Turner-Hütte (Turnerova Chata), der einzigen zugänglichen Berghütte im Kerngebiet des Nationalparks. Dort werden für wenig Geld das landestypische Gulasch mit “Knedlik” (Serviettenknödel) und süffiges Pilsner Bier serviert. Noch ist Tschechien für Westeuropäer preisgünstig. Doch nach dem EU-Beitritt des Landes am 1. Mai wird sich das wohl schnell ändern.
Skiwandern im Böhmer Wald ist immer auch ein Ausflug in die Geschichte. In der Nähe des nur für Fußgänger geöffneten Grenzübergangs Bucina (Buchwald) zum Beispiel stößt man unvermittelt auf die Reste eines Dorfes, die unter den Schneemassen nur schwer zu erkennen sind. Nach dem Krieg wurden die deutschen Bewohner vertrieben, ihre Häuser zerstört. Die Tschechen erklärten einen mehreren Kilometer breiten Streifen an der Grenze zum militärischen Sperrgebiet. So kam es, dass der böhmische Teil des Mittelgebirges heute im Gegensatz zum bayerischen kaum besiedelt ist. Das wird wegen des Nationalparks auch so bleiben.

Ehemalige Bewohner kehren nur als Besucher zurück, um die Gräber ihrer Vorfahren zu suchen und zu pflegen. Erwin Aschenbrenner erzählt diese und andere Geschichten am Abend nach den Touren gerne. Er hat seine Jugend auf der bayerischen Seite der Grenze verbracht und nur hinübergeschaut ins unerreichbare Böhmen. Nach der Öffnung der Grenze wollte er 1990 das Land nicht nur selbst kennen lernen, sondern es auch seinen Landsleuten zeigen. Aus kleinen Anfängen hat sich mittlerweile einer der führenden Spezialanbieter für Reisen in Böhmen entwickelt. Neben den Winterreisen hat Aschenbrenner Radtouren, Familien-Wochen und – als besondere Spezialität – Literatur-Reisen im Programm.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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