Pressebericht in der Frankfurter Rundschau 25.8.2001

Frankfurter Rundschau Reisen
 

“gott war guter laune”

Was wissen Deutsche und Tschechen voneinander? Wenig oder Falsches. Um das zu ändern, veranstaltet ein Regensburger Unternehmen sogenannte Begegnungsreisen und wurde dafür prämiert.

Wie eine satte Katze schnurrt die „Böhmisch-Mährische” durch sanft gewellte Moldau-Auen, dichte Wälder und lichte Birkenhaine mit dunklen Moorseen. An winzigen Bahnhöfen mit unaussprechlichen Namen steigen Wanderer ein und aus. Die Wende vor zehn Jahren hat ihnen ein unvergleichliches neues Wanderparadies im deutsch/ österreichisch/tschechischen Grenzgebiet beschert. Im über 40 Jahre lang bewachten Niemandsland blieb eine ursprüngliche Waldlandschaft mit Gletscherseen, großflächigen Mooren und Auen erhalten, die als Nationalpark „Sumava” von der Unesco als Biosphärenreservat anerkannt wurde.

Ein schöner Zug also vom Veranstalter der Reisen „Begegnung mit Böhmen” und ganz schön clever dazu, seine Tour zu Weltkulturerbe-Stätten beim weithin noch unbekannten Nachbarn Tschechien mit dieser Bahnfahrt beginnen zu lassen: Da lehnen sich die Reisenden entspannt zurück und bekommen durchs Zugfenster einen zauberhaften Zipfel vom herb-heimeligen Böhmerwald präsentiert. Und schon nach wenigen Kilometern haben sie kapiert, warum der Prager Rainer Maria Rilke schwärmte: „Gott war guter Laune: Geizen ist wohl nicht seine Art; und er lächelte: da ward Böhmen reich an tausend Reizen.”

Diesen Reizen erlag, kaum war der Eiserne Vorhang gefallen, auch der Regensburger Kulturwissenschaftler Erwin Aschenbrenner. So sehr ihn Landschaft und Menschen auf Anhieb begeisterten, so sehr erschreckte ihn der umgehend einsetzende „bumsfidele Bier- und Billigtourismus” in den Grenzregionen. Diesen oft beschämenden und oberflächlichen Konsumtouren wollte der überzeugte „bayerische Böhmerwäldler” mit einem sanften Konzept von Begegnungsreisen entgegen wirken. Längst steht dem engagierten Spezialveranstalter ein Stamm kompetenter tschechischer Mitarbeiter – Pädagogen, Ökologen, Historiker, Kulturkenner – als Reiseleiter zur Seite. „Alles Glücksfälle”, meint der Idealist aus Regensburg.

Einer dieser Glücksfälle begrüßt uns am Bahnhof von Cesky Krumlov (Krumau), dem ersten Weltkulturerbe-Ziel der Reise: Ivan Slavik. Der stellvertretende Direktor des Stadtmuseums Krumau wird unsere kleine Gruppe die ganze Woche begleiten, zehn pauschal reisende Individualisten

zwischen 40 und 70 Jahren. Und die kann er mit seinem tiefgründigen Humor und schier unergründlichem Wissen aus Kunst, Kultur und Politik begeistern.

Nun erst einmal Cesky Krumlov. Nach der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung schlummerte und bröselte die betagte Schöne vor sich hin und überlebte die sozialistischen Zeiten zwar zerknittert, aber ohne Abrissbirne und Bausünden. Seit unter Unesco-Überwachung saniert und restauriert wurde, treibt’s die alte Dame bunt. Zu bunt, wie Ivan Slavik meint, seien doch etliche Fassaden zu Kulissen degradiert, viele der Gemäuer aber auch vorbildlich saniert und restauriert – zumindest äußerlich.

Seit sich die Touristenscharen tagsüber durch die krummen Gassen zum Schloss schieben, hat sich das Leben für die Krumauer auf den Kopf gestellt. „Geschäftemacher und Spekulanten waren 1990 sofort zur Stelle”, erinnert sich Slavik, der seit 1982 in Krumau lebt. Das Leben für die Einheimischen sei „brutal teuer” geworden, mindestens so teuer wie in Prag. Viele könnten sich das nicht leisten und müssten raus. Heute leben in der Altstadt nur noch 1000 Menschen, fast 3000 waren es vor zehn Jahren. „Das ist weniger als nach dem Dreißigjährigen Krieg und den Pestepidemien”. Wo früher Krämer, Bäcker oder Metzger und fünf Kneipen für den täglichen Bedarf sorgten, sind heute Boutiquen, Galerien, Souvenirshops und über 100 Restaurants, Bistros, Cafés zu finden. Und doch sieht Ivan Slavik im Jahr elf nach der Wende die Entwicklung Krumaus zum „böhmischen Rothenburg” weniger negativ als noch vor fünf Jahren: „Ohne Tourismus wäre die soziale Lage hier entschieden schlimmer.”

Abends beim Bier wird diskutiert und zugehört, gefragt und vielleicht ein bisschen mehr verstanden vom schwierigen Verhältnis zwischen Tschechen und Deutschen. Aber auch über die vielen gemeinsamen kulturellen Aktivitäten im Dreiländereck kann man, so man will, eine Menge von Slavik erfahren. Schließlich ist er bei vielen Projekten in Sachen Kunst und Begegnung mit dabei, sei es beim ersten internationalen Stifter-Symposium, beim „Fest der freien Künste” im Dreiländereck oder bei den’ Oberplaner Gesprächen, wo Tschechen und Deutsche Wege zueinander suchen.

Das nächste Weltkulturerbe wirkt wie aus Opas Steinbaukasten: Schmuck herausgeputzt prunkt das Straßendorf Holasovice mit seiner heiteren Volksarchitektur im südböhmischen Bauernbarock. Was aussieht wie die Filmkulisse zu Smetanas Verkaufte Braut, liegt tagsüber wie verlassen da. Die knapp 140 Bewohner arbeiten in Budweis oder auf der Kolchose, erklärt uns ein alter Mann, der mit seinem Enkel herangeschlurft kommt. Fast verschämt bietet er Postkarten an, ein paar Kronen sind als Nebenverdienst willkommen. Noch bringt das 1998 verliehene Unesco-Prädikat dem kleinen Dorf mehr Ehre als Bares – und noch stört nicht einmal ein winziger Kiosk mit Souvenirs das harmonische Ensemble.

„Denkmalschutz funktioniert bei uns relativ gut”, sagt Ivan Slavik just in dem Moment, in dem die Kühltürme des Atomkraftwerks von Temelin am Horizont auftauchen. Ivan plädiert augenzwinkernd dafür, dieses Monster zwar nicht ans Netz zu hängen, aber als „großartige LandArt” stehen zu lassen – als weit sichtbares Denkmal für Dummheit. Für Weitblick, zumindest der Denkmalschützer, sprechen die einfühlsam restaurierten Stadtidyllen wie Trebon (Wittingau) oder Jindrichuv Hradec mit seinem Schloss Neuhaus – und natürlich unser nächstes Weltkulturerbe: das von zwei Teichen umschlossene Telc (Teltsch). Noch stimmt exakt, was der tschechische Dichter Karel Capek notierte: „Ich möchte wetten, dass es bei uns keinen schöneren Marktplatz als den in Telc gibt. Er ist sehr lang, von Toren abgeschlossen und von Laubengängen gesäumt. Jedes Haus hat einen hohen Giebel mit schönen Konturen und mit Stuck und ist rosa oder blau oder weiß angestrichen… und mitten auf dem Marktplatz einen Brunnen und eine gewundene Säule und in der Ecke ein Schloss…”.

Weiter geht’s per Bus und Bahn, denn zum Konzept der Reisen „Begegnung mit Böhmen” gehört auch die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, wo es machbar und sinnvoll ist. Und dank abendlicher Mini-Sprachkurse können wir uns zumindest mit einfachen Höflichkeitsfloskeln durch den tschechischen Alltag bewegen. Per Bus also zur Gustav-Mahler-Stadt Jihlava (Iglau), die durch den Silberbergbau zu Reichtum gelangte.

Hier führt uns Rudolf Neubauer durch seine Heimatstadt, die, wie er sagt, auch viele der Unesco-Anforderungen erfüllen würde. Aber ein ehrgeiziger Parteifunktionär ließ den einmaligen „Kretzel”, ein mittelalterliches Ensemble von Kaufhäusern auf dem riesigen Marktplatz, abreißen, um ein modernes Kaufhaus hinzuklotzen. Das brachte die Iglauer noch zu Zeiten des real existierenden Sozialismus auf die Barrikaden, doch ohne Erfolg.

Die Begegnung mit Neubauer ist wieder ein kleines Stück authentischer Nachkriegsgeschichte. Wäre, ja wäre sein deutscher Vater nicht im Krieg gefallen, wäre er mit seinen Eltern vertrieben worden und als Deutscher aufgewachsen. „Na, ob das wohl besser gewesen wäre?” So blieb er mit seiner tschechischen Mutter in Iglau, ging nicht zur Universität, sondern in die Glasbläserlehre. Sein deutscher Name stand dem jungen Rudolf häufig im Weg. Aber so war das halt, lächelt Neubauer.

Silber brachte auch dem vierten und letzten von uns besuchten Weltkulturerbe Wohlstand und unermesslichen Reichtum: In Kutna Hora (Kuttenberg) kommt alles gewaltig daher, der ehemalige Königspalast, der Welsche Hof mit der bedeutendsten Münze des Mittelalters, das Jesuitenkolleg und vor allem die prunkvolle St. Barbara Kathedrale. Schließlich musste für die reichen Geldsäcke und ehrgeizigen Patrizier alles vom Feinsten sein. Auch wenn in 500 Jahren dieses monumentale Bauwerk nicht wirklich vollendet wurde, wirkt die Gesamtanlage auf einem Felsplateau überwältigend.

TEXT: MONIKA ZELLER

AUSKUNFT: Tschechische Zentrale für Tourismus, Karl-Liebknecht-Str. 34, 10178 Berlin, Tel./Fax 030 / 2 04 47 70, I nternet www.visitczech.cz „Begegnung mit Böhmen”, Dr. Erwin Aschenbrenner, Dechbettener Straße 47 b, 93049 Regensburg, Tel. 0941/2 6080, Fax 2 60 81. Hier gibt es Informationen über die gesamte Veranstaltungs-Palette der Wander-Radel- und Kanutouren sowie der Literatur-, Musik- und sonstigen Kulturreisen nach Böhmen. Preise: Die beschriebene Reise „Weltkulturerbe in Böhmen” kostet mit Halbpension, fundierten Führungen und Kulturprogramm 930 Mark.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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