Pressebericht in der Märkischen Allgemeinen 6.3.2004
Prag und seine Dichter: Kafka …

Maerkische Allgemeine Reisen
 

Prag: Kafka, Kisch & Co.

„Ich sitze im Kaffeehaus, habe etwas hübsches gelesen, bin wohlauf”. Als Franz Kafka die Zeilen schrieb, saß er im Prager Grand-Hotel „Erzherzog Stephan”. 100 Jahre später wartet der Literaturwissenschaftler Arthur Schnabel in dem heutigen Hotel Europa auf Literaturfreunde. Mit Romanen und Anekdoten im Rucksack führt er die Schöngeister dorthin, wo Prag Geschichten schrieb.

Bohumil Hrabal, der mit dem ehemaligen Dramatiker Vaclav Havel wohl bekannteste tschechische Schriftsteller der Gegenwart, verbrachte nahezu sein halbes Leben im „Goldenen Tiger”- bis er sich 1997 im Alter von 82 Jahren aus einem Fenster in den Tod stürzte. Wie vor 20 Jahren ist es schwer, eine freie Holzbank zu ergattern. An Stammtischen bechern Totengräber, Künstler und Müllkutscher. Man diskutiert, resümiert, schwadroniert. In der Kneipe schnappte der lauschende Hrabal Wortfetzen auf und formulierte daraus ein literarisches Mosaik. Die Straßenbahn Nr. 15 poltert in den Arbeitervorort Liben. Wo Wohnblocks stumpf vor sich hin starren, bringt eine bemalte Mauer Farbe ins Einerlei. Prags Denkmal für Bohumil Hrabal. Arthur Schnabel liest Passagen aus einer Erzählung, dann packt er sein Buch wieder ein.

Auf „authentischem Territorium” in einem ehemaligen Séparée im Luxus-Hotel Paris öffnet der Literatur-Scout noch einmal ein Hrabal-Kapitel. Die erotischen Abenteuer des Pagen in dem Schelmenroman „Ich habe den englischen König bedient” spielen in den Hallen und Lustkammern des herrschaftlichen Etablissements. Auch wenige Schritte entfernt perlte der Champagner. Neben dem Pulverturm zweigt eine Gasse mit grünen Schaufenstern ab. Anfang des 20. Jahrhunderts inspirierte Literatem in dem Edelbordell die Farbe Rot. Kisch, Kafka & Co ließen sich im „Gogo” in die käufliche Liebe einführen. „Es brodelt und kafkat, es werfelt und loscht”, soll Karl Kraus aus dem fernen Wien über die „Provokateure” Brod, Kafka, Werfel und Kisch gespottet haben. In Wirklichkeit hatte der „rasende Reporter” Egon Erwin Kisch das Zitat selbst in Umlauf gebracht. Um den Zeilen Aufmerksamkeit zu verleihen, jubelte das Schlitzohr den Satz seinem berühmten Intimfeind an der Donau unter.

Im Café „Acor” war die schreibende Zunft wieder unter sich. Bis zum 1. Weltkrieg war das Kaffeehaus die gute Stube der deutsch-jüdischen Literaten. Heute ist der Geist des Kaffeehauses in einem Plastik-Interieur erstickt, das jedem Bleistift die Spitze nimmt. Karl Kraus konnte es nicht lassen: In Prag vermehren sich die Schriftsteller „wie Bisamratten” stichelte er. In der Tat, Prag war eine ergiebige Geistesküche für links-bürgerliche Intelligenzler wie Jaroslav Hasek (“Die Abenteuer des braven Soldaten Schwejk”). Kraus nannte den Außenseiter einen “närrischen Sonderling “. Ganz Unrecht hatte er nicht. Der geistige Vater des nur scheinbar einfältigen Soldaten Schwejks trieb sich oft auf dem Karlsplatz herum. Eine kleine Büste an einem Mietshaus in der Skolska 16 erinnert an den Erzähler, der nachts am Karlsplatz als Hundefänger unterwegs war.

Haseks Roman-Helden spiegeln die Prager Unterschichten mit ihrem Witz wieder. Damit schien der Eulenspiegel der Tschechoslowakei das Gegenteil nicht nur des lebensängstlichen Franz Kafka, sondern auch des geschäftstüchtigen Egon Erwin Kisch zu sein. Dem saß der Schalk aber ebenfalls im Nacken. Als im ehemaligen jüdischen Ghetto Josefstadt das Gerücht umging, Rabbi Löws Menschmaschine „Golem” hause immer noch in der Altneusynagoge, inszenierte der Reporter eine spektakuläre Suchaktion. Er fand nur zwei Fledermäuse, schrieb aber darüber acht Seiten.

Manfred Lädtke

Die Texte stammen von den oben aufgeführten Zeitungen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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