Pressebericht in: Rheinischer Merkur 1.7.2004

Rheinischer Merkur Reisen
 

MITTELSLOWAKEI: Goldene Zeiten

Bodenschätze sorgten einst für Reichtum, nun werden Kultur und Natur wiederentdeckt.

Autor: FRANZ LERCHENMÚLLER

Gut fängt das an: Juraj hat hausgemachten Presssack mitgebracht, streut gehackte Zwiebeln darüber, ordentliche Scheiben Krioblauch und ein paar Tropfen Essig – der passende Auftakt zu all den Krautsuppen und Knödeln, den Kartoffelnockerln mit Schafskäse und den Piroggen mit Hack, die wir im Lauf dieser Woche noch kennen lernen werden. Urlid, um dieses erste Frühstück im Hotel „Lesak”, einem angejahrten Denkmal sozialistischen Erholungswesens, noch ein wenig abzurunden, schenkt er einen milden Wacholder aus dem Norden ein: Schnaps um zehn Uhr morgens.

Im Herzen der Slowakei sind wir, rund 220 Kilometer nordöstlich von Bratislava, um unter anderem die Banska Bystrica. Foto: Franz Lerchenmüller Kremnitzer und Stiavnitzer Berge kennen zu lernen. Die Mitteislowakei lieferte einst den Stoff, der die Wirtschaft am Laufen hielt und die Geldkatzen und Truhen der Kaufleute füllte: Gold, Silber und Kupfer wurden hier gefördert. Im 13. Jahrhundert führten deutsche Bergleute, die sich ansiedelten, neue Techniken ein, das ;,Goldene Kremnitz”, das „Silberne Schemnitz” und das „Kupferne Neusohl” wurden zu festen Begriffen, und noch immer ist das Gestein unter den Häusern von Gängen durchzogen wie ein wurmstichiges Stück Holz.

In Hodrusa hat Bergbauingenieur Richard Kana den Stollen „Allerheiligen” so weit wieder hergerichtet, dass wir mit Grubenlampe und Helm einsteigen können – hinein in 700 Jahre Geschichte. Deutlich sind die Spuren der Meißel am Fels zu erkennen, mit denen Generation auf Generation die Gänge vorantrieb, bis den Knappen 1627 einfiel, es mal mit Schwarzpulver zu versuchen. Die Sprengung klappte, es war die erste weltweit, und sie erleichterte die Arbeit künftig ungemein. 600 000 Tonnen Erz beförderte man in der Gegend insgesamt ans Tageslicht, rund zwei Tonnen Gold und 100 bis 150 Tonnen Silber wurden daraus gewonnen.

Aber Ingenieur Kana ist nicht nur Bergbauexperte, sondern auch Weltmeister: im Goldwaschen. Auch wir dürfen uns in dieser Disziplin versuchen. Jeder erhält einen Eimer Kies, in den drei winzige Stückchen Gold untergerührt werden. Die eiserne Waschpfanne erinnert an einen spitzen Chinesenhut. Dann schweriken, drehen, spülen wir in einer Plastikwanne voll Wasser. Steine und Geröll schleudern über den Rand der Schüssel, und vermutlich längst auch das Gold. Immer feiner wird das Sediment, das zurückbleibt, und am Ende, kaum zu glauben, schimmern im schwarzen Sand die begehrten Krümel, alle drei. Das dauert natürlich, zehn, fünfzehn Minuten – Kana brauchte bei seinem weltmeisterlichen Waschgang knappe zwei, um 12 Bröselchen auszusortieren.

Jeder Dritte ohne Job Im benachbarten Banska Stiavnica wurde 1770 die erste Bergbauakademie der Welt gegründet. Die Gegenwart ist freilich weniger glorios. Im Bergbau arbeitet fast niemand mehr, Tabakfabrik und Textilherstellung haben nach der Wende zugemacht, jeder Dritte ist heute ohne Job. Viele der alten Bürgerhäuser im Zentrum verfallen, auch wenn es in Bratislava mittlerweile als schick gilt, hier eine Zweitwohnung zu besitzen. Der Tourismus, meint Deutschlehrer Jan Sedilek, der uns fröhlich durch die Stadt führt, sei die einzige Hoffnung: die Mineraliensammlung, der botanische Garten, das Bergbaumuseum unter und über Tage, das nahe Schloss von Sväty Anton – zu sehen gibt es reichlich.

Waren Gold und Silber zu Barren gegossen, kamen sie nach Kremnitz, ins heutige Kremnica. Schon 1329 wurden dort die ersten Münzen geprägt, Kremnitzer Dukaten und Floriner waren im 14. und 15. Jahrhundert in Europa begehrt. Das neue Museum zeigt den Werdegang einer Münze vom Bergwerk über den Schmelzofen bis in die Schatulle, es dokumentiert die slowakischen Zahlungsmittel lückenlos. Auf dem Prägestock kann jeder seine eigene Erinnerungsmedaille schlagen.

Vorn einstigen Reichtum der Stadt gibt es noch Spuren. Vom Turm der Katharinenkirche geht der Blick auf den Hauptplatz, eine schräg ansteigende Wiese, aufgeteilt von geraden Wegen und Reihen junger Ahornbäume. Auf der barocken Dreifaltigkeitssäule, im 18. Jahrhundert zum Gedenken an die Opfer einer Pestepidemie errichtet, türmen sich über 60 Heilige, Engel und Apostel. Die kleine Fußgängerzone nebenan wirkt eher bescheiden.

In Banska Bystrica, dem früheren Neusohl, ließen sich einst die Besitzer der Bergwerke nieder, und die „Waldbürger”, deren Holz unverzichtbar war für den Bergbau, errichteten prächtige Renaissancehäuser. Auf dem weitläufigen Platz „Namestie SNP”, der wie das gleichnamige Museum an den slowakischen Nationalaufstand 1944 erinnert, ragen wie zwei Orientierungsnadeln der schwarze Marmorobelisk der Sowjets und eine Mariensäule hoch. Wasser plätschert über eine bemooste Tuffgrotte, Studenten mit gegeltem Schopf hängen am Handy, vor den Cafés herrscht buntes Sommertreiben und eine Stimmung heiterer Gelassenheit.

So reich war die Stadt, dass sie sich gar den berühmten Meister Paul aus Levoca kommen lassen konnte, der im 15. Jahrhundert zu den Größten seiner Zunft gehörte. Am reich verzierten Barbara-Altar in der katholischen Kirche scliuf er Gotik in Vollendung: ausdrucksvolle Schnitzerei, perfekte Vergoldungstechnik, spitze Bögen, kühner Aufbau – eine Kathedrale im Kleinsten sozusagen.

Fast übergangslos geht Banska Bystrica an seinen Rändern in eine Landschaft über, nach deren Fertigstellung der Schöpfer sich zufrieden auf die Schulter geklopft haben dürfte: Wälder von vielerlei Grün ziehen sich über wellige Hügel, Weiden säumen plätschernde Bäche. Auf den Wiesen blühen alte Kirschbäume mit schwarzer, rissiger Borke.

Kräutertee und Ziegenkäse Mitten in diesem Garten-Eden-Verschnitt im Sajova-Tal spielen junge Leute Paradies. Adda, mit Zöpfchen im Haar und blurnenbesticktem Kordrock, hat uns zu Ehren knusprige „Brotplätzchen” gebacken. Dazu gibt es Kräutertee, Pflaumenmus und Ziegenkäse – alles selbst gemacht. Vor zehn Jahren kaufte eine Hand voll zivilisationsmüder Slowaken hier Häuser, sie brachten die Gärten in Schuss und halfen sich gegenseitig bei der Arbeit. 30 solcher Aussteiger wohnen mittlerweile verstreut über die Hügel. Eine Nachbarin präsentiert stolz das Hexenhäuschen, das ihr Mann aus Lehm, Stroh und H.olz ganz nach überlieferter Art gebaut hat.

Unweit davon, in Hronsek, setzt sich Frau Jakusova, die junge Pfarrerin, nach kurzem Zögern an die Orgel ihrer Holzkirche und spielt zusammen mit ihrem Mann slowakische Kirchenlieder. So kommt es auch, dass Jaroslav Budaj, Stationsvorsteher zu Kremnicke Bane, den angebotenen Schnaps zwar ablehnt, da ja im Dienst, aber gleich ein Fläschchen hervorzaubert und sich das Stamperl einfüllen lässt, zum abendlichen Gedenken an den unverhofften Besuch, wie er treuherzig versichert.

So kornmt es, dass wir uns in Kremnica im Haus von William Janovsky wiederfinden, der sich als Hollywood-Regisseur vorstellt, nicht müde wird, uns durch sein Haus zu führen und zu erzählen: von Jack Nicholson, von Sting – vor allern von William Janovsky. Goldenes Kremnica – ach ja, zwei Oscars hat er auch bekornmen.

KURZ INFORMIERT

Anreise: Mit Zug oder Flugzeug über Wien oder Bratislava, sonst per Auto.
Essen und Trinken: Weißkraut, Schweinefleisch, Suppen, Kartoffelpuffer. Unbedingt probieren: Bryndzove halusky, eine Art Kartoffelgnocchi mit Schafskäse und Speck.
Veranstalter: Die beschriebene Reise findet vom 7. bis 15. August statt und kostet 490 Euro (Begegnung mit Böhmen, Regensburg, Tel. 0941/260 80, E-Mail

Kontakt .
Literatur: Renata Sako-Hoess: „Slowakei”, DuMont, 240 Seiten, 12 EUR. Externe Links: www.sacr.sk

 

 

 

 

 

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