Pressebericht in der Süddeutschen Zeitung 12.9.2002

Süddeutsche Zeitung Reisen
 

Zum Nachtisch gibt es Rilke

Bayerisch Eisenstein -Treffpunkt: der alte Bahnhof. Schon das ist ein Augenschmaus. Der Bahnhof, zur Zeit des Eisernen Vorhangs auf tschechoslowakischer Seite noch mit Brettern vernagelt und mit Stacheldraht gesichert, strahlt wie zur Zeit seiner Gründung, als das Königreich Bayern und die k.u.k. Monarchie diese Bahnstation mittig auf die Grenze ihrer Länder setzten. Der Grenzübertritt auf dem Bahnsteig ist locker, der Empfang durch den tschechischen Grenzbeamten in melodischem, böhmisch gefärbtem Deutsch heiter und ohne Aufhebens.

Mit der Öffnung des Eisernen Vorhangs hat sich Erwin Aschenbrenner auf Kultur- und Erlebnisreisen in Böhmen spezialisiert. Der Regensburger Kulturwissenschaftler, aufgewachsen im Bayerischen Wald, hat mit der Arbeit „Ist Tourismus Kolonialismus?” promoviert. Er kam nach der Grenzöffnung mit dem Rad so früh in den Böhmerwald, dass die Grenzwächter ungläubig staunten, wenn er in ihre Baracken trat. Manche Holzhütten waren im militärischen Sperrgebiet schon verlassen, in einer stand nur noch ein Huhn auf dem Schreibtisch. Aschenbrenner wurde zum profunden Böhmenkenner, stieg vom Rad auf die Ski und ins Kanu, packte den Rucksack und begab sich auf Kulturwanderungen in der bayerisch-böhmischen Grenzregion. Nun bietet er dort mit seinem Unternehmen insgesamt fünf „LiteraTouren” an. Im internationalen Urlaubsgetriebe ist das sicher das genaue Gegenteil des Ballermann-Tourismus auf Mallorca.

Unsere 14-köpfige Reisegruppe, alle reiferen Alters, ist für jedes Wetter gut gerüstet und im Laufen und Lesen bestens trainiert. Radka Neu Gilová, eine charmante und viel belesene Germanistik und Philosophiestudentin, teilt sich die Reiseleitung mit Arthur Schnabel, einem Regensburger Historiker, Literaturwissenschaftler und grandiosem Vorleser. Er ist der Pfadfinder auf den Spuren der Dichter, die entweder in dieser Region zu Hause waren oder sich literarisch mit ihr auseinander gesetzt haben: Goethe, Klostermann, Stifter, Kafka, Rilke, Hrabal. Ihre Werke lässt Schnabel an Ort und Stelle lebendig werden. Ausgangspunkt für die LiteraTouren ist ein ehemaliges Forsthaus auf der in 1150 Meter Höhe gelegenen Hochebene von Filipova Hut (Philippshütten). Die Zimmer sind einfach , die Speisen böhmisch schlicht und das Bier köstlich. Als Nachspeise gibt es Literarisches von Bohumil Hrabal und Rainer Maria Rilke aus „Böhmische Schlendertage”. Arthur Schnabel liest einfühlsam. „Selten so ein wohltuendes, angenehmes Müdewerden erlebt”, lobt da der mitgewanderte Hofrat aus Wien, ein belesener Stifter-Verehrer, und bestellt sich noch ein Budweiser.

Am nächsten Tag regnet es in Strömen. Das Thermometer ist auf acht Grad gefallen. Es wird trotzdem unverdrossen auf Dichters Spuren gewandert. Und es macht wider Erwarten Spaß. Denn so, im direkten Kontakt mit Natur und Wetter und im Angesicht des Lusen (1373 m), kann man die Karel Klostermann-Geschichte über das harte Leben der Holzfäller viel besser nachvollziehen als beim Lesen in der warmen Stube. Überhaupt Klostermann: Er gilt neben Stifter – als der Autor des Böhmerwaldes, der allerdings lange Zeit im deutschsprachigen Raum zu gut wie nicht zur Kenntnis genommen wurde. Der Grund: Der aus Bergreichenstein stammende Dichter schrieb bevorzugt tschechisch. Erst jetzt erlebt das Werk Klostermanns eine wahre Renaissance. Leute, die schon alles gesehen haben, zivilisationsgeplagte Stadtmenschen, sollten einmal in die „beglückende Menschenleere”, die herbe Waldherrlichkeit wandern, dorthin, wo kein Handy funktioniert. Menschen, die sich der Literatur nahe fühlen, sollten gerade diese noch weitgehend unberührte Landschaft besuchen, die wie kaum eine andere durch die Dichtungen Adalbert Stifters zu einer magischen kleinen Welt geworden ist.

Von Horst Hanske

Die Texte stammen von den oben aufgeführten Zeitungen.

 

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